Pflichten des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung
Im Folgenden möchten wir Sie über die aktuellen Pflichten des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung informieren. Diese Pflichten ergeben sich aus der nationalen Gesetzgebung sowie aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
1. Gesetzliche Grundlagen, Rechtsprechung BAG
Eine klare gesetzliche Regelung zu Pflichten des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung gibt es nach wie vor nicht. Nach Auffassung des BAG (Beschluss 13.09.2022, Az: ABR 22/21) (1) sind in EU-rechtskonformer Auslegung gemäß § 3 Abs.2 Nr.1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer bezüglich des Beginns und Endes der gesamten täglichen Arbeitszeit einschließlich der Überstunden zu erfassen.
2. Rechtsprechung des EuGH
Der EuGH hat in der CCOO-Entscheidung (EuGH 14.05.2019, Az: C-55/18) (2) klargestellt, dass Arbeitgeber ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einrichten müssen. Diese Verpflichtung dient der Sicherstellung der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer. Diese Pflicht umfasst die genaue Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Überstunden. Pauschale Angaben wie „8 Stunden gearbeitet“ genügen nicht. (3)
3. Stand der Gesetzgebung zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland
Aktuell gibt es noch keine spezifische gesetzliche Regelung in Deutschland, die die Vorgaben des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung vollständig umsetzt und die Pflichten genauer regelt. Die jetzige Bundesregierung hatte angekündigt, dass sie eine gesetzliche Klarstellung zur Arbeitszeiterfassung plant, um die Anforderungen des EuGH zu erfüllen.
Dies wurde nicht umgesetzt. Bis dahin bleibt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bestehen, wie sie sich aus dem Arbeitsschutzgesetz und der Rechtsprechung des EuGH und BAG ergibt.
4. Umsetzung der Arbeitszeiterfassung
Die Erfassung der Arbeitszeiten kann auf verschiedene Weise erfolgen:
- Elektronische Systeme: Der Einsatz von Zeiterfassungssoftware ist weit verbreitet und ermöglicht eine präzise und effiziente Erfassung der Arbeitszeiten.
- Tabellenkalkulationsprogramme: Auch herkömmliche Programme wie Excel können zur Arbeitszeiterfassung genutzt werden.
- Manuelle Erfassung: Die Zeiterfassung muss nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG)[1] nicht zwingend elektronisch erfolgen.
5.Delegation und Kontrolle
Arbeitgeber können die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung an ihre Arbeitnehmer delegieren.(4) Dies bedeutet, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selbst erfassen. Der Arbeitgeber bleibt jedoch in der Letztverantwortung und muss sicherstellen, dass die Arbeitszeiten korrekt aufgezeichnet werden. Dies kann durch stichprobenartige Kontrollen erfolgen.
6. Mitbestimmung des Betriebsrats
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Dies betrifft auch Systeme zur Arbeitszeiterfassung.
7. Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeiterfassung
Seit der Entscheidung des EuGH ist hoch umstritten, ob die Vertrauensarbeitszeit ohne eine besondere gesetzliche Regelung weiterhin möglich ist. In der arbeitsrechtlichen Literatur (5) wird diese nach wie vor für möglich gehalten, wenn ein System zur Arbeitszeiterfassung angeboten wird. Allerdings muss der Arbeitgeber auch bisher schon gemäß § 16 Abs.2 ArbZG die über 8 Stunden hinausgehende werktägliche Arbeitszeit dokumentieren.
8. Sanktionen bei Verstößen
Das Arbeitsschutzgesetz sieht keine Sanktionen bei einer Verletzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vor.
Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz (u.A. Höchstarbeitszeiten) waren und bleiben Bußgeldbewehrt gemäß § 22 ArbZG.
9. Praktische Empfehlungen
- Schriftliche Unterrichtung: Informieren Sie Ihre Belegschaft schriftlich über die Modalitäten der Arbeitszeiterfassung und holen Sie einen Nachweis über die Kenntnisnahme ein.
- Regelmäßige Kontrollen: Führen Sie regelmäßige stichprobenartige Kontrollen durch, um sicherzustellen, dass die Arbeitszeiten korrekt erfasst werden.
- Dokumentation: Bewahren Sie die erfassten Arbeitszeiten für die vorgeschriebene Dauer auf, um im Falle von Kontrollen oder Streitigkeiten gerüstet zu sein. (Ohne Aufzeichnungen wird teilweise eine Beweislastumkehr beim Streit um Überstunden angenommen). (6)
Wir hoffen, Ihnen mit dieser Information einen Überblick über die Pflichten zur Arbeitszeiterfassung gegeben zu haben.
Diese Informationen stellen keine rechtliche oder steuerliche Beratung oder gar eine verbindliche Auskunft dar und können eine Einzelfall-Beratung nicht ersetzen. Für etwaige Erläuterungen oder Nachfragen stehen wir Ihnen auch persönlich gern zur Verfügung. Bei Fragen zum Arbeitsrecht wenden Sie sich bitte an Herrn Rechtsanwalt Oliver Stumm, Tel.-Nr. 06421/4006-120. Wir freuen uns, dass zukünftig Frau Rechtsanwältin Ann-Christin Bach unser Rechtsanwaltsteam im Arbeitsrecht verstärkt.
Mit freundlichen Grüßen
GWB Boller & Partner mbB
- BAG, Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21
- EuGH 14.05.2019, Az: C-55-18
- Ritz, in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 6.C.II.3. Aufgaben der Arbeitgeber, Rn. 11a
- Freh, in: Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, Kapitel c) Aufzeichnungspflicht, Rn. 4.19
- Benkert, Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – was bedeutet dies für Arbeitgeber?, NJW-Spezial 2023, S.50; Timmermann, Spielräume für Vertrauensarbeitszeit, NZA 2023, S.1360
- ArbG Emden vom 24.09.2020 – 2 Ca 144/20, Jürgen Markowski, in: Der Arbeits-Rechts-Berater, Heft 03, S. 71